Freitag, 22. Juli 2011

Misanthropie.

Ich laufe durch die Straßen einer Stadt, die Sonne als höchster Störfaktor am Himmelszelt blendet mich mit Helligkeit und Hitze. Der Wind treibt meine Haare ins Gesicht, lässt sie flattern und wehen, mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Pflastersteine unter meinen Füßen sind glatt, bunt und schmal - relfektierend und glänzend. Dutzende Tauben hüpfen ungeschickt den Fußgängerweg entlang und gieren nach herunterfallenden Speiseresten, welche von bleichen Händen abgleiten.
Bleiche Hände an bleichen Armen, mit einem in bunten Stoff gehüllten Oberkörper verbunden, dessen fette und magere Beine breitbeinig und übereinandergeschlagen vom Holzstuhl baumeln und mit den klobig winzigen Schuhen den Boden berühren. Die nicht zu den Flugratten gerichtete Hand umfasst einen Silberlöffel, an dem sich halb geschmolzenes Eis dickflüssig vom Löffelrand in einen verzierten Glasbecher quält.
Die breiten Köpfe, die manchmal kaum sichtbar durch einen Hals mit dem restlichen Körper verbunden sind, erfreuen sich an den instinktiven Trieben der Vögel, der angelernten Angepasstheit und der verschwindend geringen Angst gegenüber den Menschen. Grinsend, schmatzend, lachend und spuckend treiben sie Wortfetzen aus ihren mit Vanilleeis befüllten Mündern, beschweren sich über die Vogelexkremente, die neben ihren Tischen auf den Steinen liegen und schmeißen im selben Atemzug ein Stück ihrer beigelegten Waffel zu den gefräßigen Schnäbeln. An den Lippen klebt ihr überteuertetes, chemisches Essen, welches sie des Geschmackes wegen in den höchsten Tönen lobend erwähnen, nur um im nächsten Satz das Schweigen mit weiteren Banalitäten zu füllen.
Ich schweige und schaue mich weiter um, halte in meinen Händen den Fotoapparat, um die gut erhaltene Altstadt auf Bildern zu bannen. Irrelevant wie hoch, in welchen Winkel, aus welcher Ecke ich aufnehmen möchte, immer und immer wieder schieben sich die Schädel der Hunderten davor und verunreinigen mein Panorama. Ich senke das Objektiv und gebe auf - es ist schlichtweg unmöglich.
Ein fetter Mann hatte mich beobachtet und starrt mich durch seine transparente Sonnebrille an. Er sitz vor der Caféteria, auf seinem Tisch steht ein großer Heidelbeerbecher und ein Pot Kaffee. Hinterhältig lächelnd hebt er den kugeligen Kopf an und öffnet die wulstigen Lippen, um mir zu sagen, ob ich Probleme hätte den Auslöser zu aktivieren oder die Kamera nicht mehr fotografieren wöllte. Sein Blick neigt sich zu meinen Schuhen, gleitet über die schwarze Hose, das schwarze Shirt hin zu meinen Augen. Kurz überlegt er, lacht auf und sagt, es sei auch kein Wunder, so wie ich mich anziehe.
In diesem Moment schließe ich kurz meine Lider, lache in mich hinein und wünsche mir das Objektiv wäre ein Revolver. Ich gehe ein paar Schritte vor und packe die Kamera in die Tasche.
Machen Sie sich lieber über andere Dinge Gedanken, mein Herr. So, wie ich das an Ihrem Bauchumfang erkennen kann, haben Sie nach diesem Eisbecher nicht mehr genug Tage, um darüber zu philosophieren. Stopfen Sie also besser nach, als den Mund zu öffnen und Ihren Fäulnisatem zu vergeuden.
Solche Sätze schießen mir in den Kopf, duellieren sich mit der Vernunft und wollen auf die Welt losgelassen werden. Niemand gewinnt, denn das Prinzip und die Menschenauffassung haben Vorrang ... vor allem. Er ist nur ein häßlicher, kleiner und dicker Mensch, der es zu nichts gebracht hat, zu nichts bringen wird. Alleine sein Geld verschwendet und vor Langerweile schon beginnt, andere Menschen mit sinnlosen Worten zu belästigen. Der stetige Hass in mir befiehlt mir weiterzugehen. Ich will nicht meine Luft für ihn verschwenden, ich verbrenne ihn aus meinem Gedächtnis und hoffe ihn nie wieder sehen zu müssen.
Ein Misanthrop ist kein besonders schlechter Mensch, er ist genauso schlecht wie alle anderen, müsste sich selbst hassen, verachten und auf sein Handeln speien. So richtet sich der Hass nicht auf jeden Einzelnen, sondern gegen die Gesamtheit und jene, die durch menschliches Tun noch zusätzlich aus dieser breiten und ekligen Masse hervorstechen.
Was passiert, wenn einem alles unwichtig wird - die Menschen den Lebenssinn verdrängen, der sowieso nie deutlich erkennbar war?
Was ist, wenn der Selbsthass Überhand nimmt und es nichts mehr zum Festhalten gibt - wenn das Individuum Mensch die ganze Erde mit stinkenden Wogen überrennt und sich als zweibeinige Taube, als fliegende Ratte, die letzten Stücke Schönheit raubt?

Ohne die Bereinigung des Scheusals werden nicht einmal mehr unsere Enkel davon berichten können.
"Der Frieden ist menschenleer."


Ein Augenblick ist der Moment des Lidschlages.

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