Sonntag, 7. Juli 2013

Helter Skelter

Prüfungen stehen an und neben den leichtbekleideten Studentinnen steht diese Zeit wohl vor allem im Zeichen des guten Vorsatzes. Zu Silvester noch über den naiven Selbstbetrug des kleinen Mannes gelästert, folgt jetzt quasi... im Prinzip nichts anderes.
Es ist die Verführung des Aufschiebens und des Bessermachens. Der Grund warum mein Heft-,
Stift-, Block- und Bücherbestand an Umfang und Ordnung immer proportional sinkend zum Fortschritt eines Schuljahres war.
In den ersten Wochen noch der King in der Hood, weil man als einziger im U in Besitz von Hautfarbe und Deckweiß war. Nach einem Monat schon wieder der schäbige Knecht, der vor jeder Bastelstunde betteln gehen musste. Da der gute Mr. M. schon zu Grundschulzeiten einen ansehnlichen Psychopathen abgab, wünschte er der Lehrerin dann auch regelmäßig Pest und Pocken an den Hals, wenn sie ihre rote Viereckschere zückte und die anderen Kinder nur strahlten, weil sie minderbemittelte Waldorfspacken waren. Da der gute Mr. M. zu diesem Zeitpunkt aber auch schon ein sagenhafter Genius war, war er stets bemüht unterschiedliche Sponsoren für sein künstlerisches Schaffen zu finden. Wodurch es ihm schließlich gelang den perfiden Schein des sporadisch vergesslichen Standardschülers in seiner Klasse zu wahren. Da er selten dieselbe Person zweimal aufsuchte, hielten sie seine Bedürftigkeit für das Produkt einmaliger Missgeschicke und boten ihm daher mit Vorlieb die benötigten Utensilien an.
Dann kam Mr. M. in die dritte Klasse und den Leuten viel auf, dass sie getäuscht wurden.
Er wurde von niedrigeren Instanzen zum "schusseligst Pimpf alive" gekürt und gehörte von nun an dem suspekten Außenseitertum an.  

Folgen waren erste Drogeneskapaden, der Absturz in die scientologische Sekte (Cruise rockt!), ein dramatischer Hang zu melancholischem Emopop (damals hieß das noch "Green Day"), das Suchen nach Trost bei den leichten Mädchen aus der zweiten Klasse und der, sich langsam anbahnende, exorbitante Hass auf seine Mitschüler, der bis ins sechste Schuljahr geradezu formidabel gedeihte, wo er in einem blutigen Amoklauf hätte gipfeln können, wäre sich der gute Mr. M. zu diesem Zeitpunkt schon darüber im Klaren gewesen, dass es so etwas gibt.

Auf jeden Fall war der häufigste Vorsatz meines Lebens wohl "nächstes Schuljahr...".
"Nächstes Schuljahr führe ich meine Hefte vorbildlich, nächstes Schuljahr passe ich auf, nächstes Schuljahr stoße ich interessante Konversationen im Unterricht an..."
Man lernt es nicht. Diese Vorsätze hatte ich in meinem Leben dreizehn Mal bevor ich endlich aufgesprungen bin und für andere Umstände gesorgt habe.
Die neuen Vorsätze lauten inzwischen wie folgt:
"Nächstes Semester hab ich für jeden Kurs Schnellhefter, nächstes Semester gehe ich regelmäßig zu Vorlesungen, nächstes Semester stoße ich interessante Konversationen in Seminaren an..."
"Nächstes Semester lerne ich rechtzeitig.... arg".
Ach was wäre ich schon längst für ein besserer Mensch, wenn ich mal ein motivierter Mensch wäre.
So ergibt sich die selbe Situation wie vor fünfzehn Jahren. Ich sitze hier und versuche mich mit dem Verfassen von Blogs von der Arbeit abzuhalten. Wie zynisch, wenn man sich mal überlegt wie oft ich das sonst auf die Reihe bekomme.
Es müsste quasi noch eine ätzendere Instanz geben, von der man sich dann mit dem Büffeln auf Prüfungen ablenken könnte.
Aber was tut man? Man wartet bis es zu spät ist. Bekommt auf den Deckel und gelobt es beim nächsten Mal besser zu machen.

Ich vergleiche mich in letzter Zeit gerne mit der deutschen Gesellschaft, was eigentlich schon eine sehr geschmacklose Form der Selbstkritik ist.
Braucht unsere Gesellschaft doch ähnlich regelmäßig den berühmten Tritt in den Arsch um zu merken, dass was falsch läuft. Und versinkt genauso konsequent zurück in Lethargie, sobald das Thema nicht mehr täglich über die Scheiben der heimischen Breitbildgeräte flimmert.
Fukushima um ernsthaft was gegen Atomkraft zu tun, Hitler um zu merken, dass Toleranz was Gutes ist, ein gewisser Robert Enke musste auf den fahrenden Zug mit aufspringen damit Depressionen in unserer Gesellschaft nicht mehr als läppische Wehwehchen abgetan wurden. Prism um zu merken, dass wir im Internet ausspioniert werden und halb Deutschland ging kürzlich baden, damit die Regierung gerafft hat, dass ihre Ausgaben für Hochwasserschutz bestenfalls rudimentär sind.  
Und heute? Atomkraft ist kein Thema mehr, weil: Fukushima schon längst wieder in ferne Vergangenheit gerückt (und überhaupt ist die Atomkraft ja sowieso so gut wie abgeschafft), Depressionen werden wieder belächelt, Toleranz ist eben optional, Hochwasser? irgendwas war da doch? und generell gibts gerade nichts Wichtigeres, als dass irgendein Programm in den USA das Internet ausspäht. Weil man damit natürlich all die Jahre nicht hätte rechnen können.  
Vielleicht brauchen wir erst die totale nukleare Katastrophe um zu kapieren, dass das mit dem Wettrüsten nix wird. Oder es muss sich erst irgendein Promi qualvoll dahinraffen, damit hier was für aktive Sterbehilfe getan wird.
Vielleicht muss ich ja auch erst durch meine Prüfung fallen, damit ich zwei Wochen mal das ernste Verlangen habe, was zu tun.

So viele Vielleichts und nirgendwo bekommt man die Antworten die man hören will.
Draußen dämmert es und immerhin kann ich meinen Freunden jetzt erzählen, dass ich mal die ganze Nacht in der Bibliothek "durchgelernt" habe.
Vielleicht brauchen wir für den Augenblick auch nur den Schein einer heilen Welt um die Welt als heil zu akzeptieren. Zukunft gibt es schließlich immer.


PS: Papa Roach!
Ihr habt alles an die Wand gerockt.

PPS: LastFM stuft diesen Blog als "nicht vertrauenswürdig" ein. Etwas muss richtig gemacht worden sein.