Dienstag, 26. Juli 2022

Zusammen atomisieren

Als Jugendlicher habe ich mich eine lange Zeit der sogenannten schwarzen Szene zugehörig gefühlt. Ich glaube im Nachhinein, dass das viel mit der pubertären Geste des "Niemand versteht mich so richtig" zu tun hat, die dort zelebriert und konserviert wird. 

Man kann paradox finden, dass sich so ein Gedanke dazu eignet Menschen zusammenbringen, am Ende bestätigt sich hier aber nur, was der Soziologe Georg Simmel schon vor über hundert Jahren festgestellt hat: Individualität ist nie das bloße Sich-Unterscheiden von anderen, sondern immer ein Austarieren von Abgrenzung und Nachahmung. Da wir bei allem Individualitätsbedürfnis immer noch soziale Wesen sind, würde totale Verschiedenheit für die meisten wohl den (nicht nur sozialen) Tod bedeuten. Um dieses Spannungsverhältnis zumindest ein wenig zu lockern, bieten sich Gedanken und Weltbilder an, die, wenn nicht absolut individuell so doch zumindest gruppenspezifisch sind. Man kann sich dann immerhin noch als Teil einer Familie, eines Freundeskreises, einer Subkultur, eines Sportvereins, einer Religion, einer Generation oder eines Fandoms von anderen abgrenzen. 

Ich glaube die Phrase "Niemand versteht mich so richtig" ist dafür sogar naheliegend, weil sie die Möglichkeit echter Verständigung zwischen Menschen von vorneherein ausschließt und damit zumindest theoretisch Leute zusammenbringen kann, die sich eigentlich nicht so viel zu sagen haben. Neben dieser sozialen Komponente lässt sich darin auch manchmal etwas Verherrlichendes erkennen. Das eigene Nicht-verstanden-werden wird mit einer gewaltigen inneren Komplexität erklärt, die niemals ganz von Außen erfasst werden kann. Wenn nicht das höchste, so ist man doch zumindest ein besonders kompliziertes und tiefgründiges Wesen. 

Der Satz mag banal und kindisch sein, bezieht sich aber dennoch auf ein sehr reales Unbehagen. Es ist der berechtigte Zweifel an der Möglichkeit jemals ganz zu seiner Außenwelt durchzudringen. Die Frage ob man an den Grenzen der Sprache oder an denen der eigenen Artikulation oder doch an der Umwelt scheitert, die partout nicht verstehen will, ist dabei wahrscheinlich sogar noch vergleichsweise unkompliziert. Interessanter könnte sein darüber nachzudenken, wie es unsere Gesellschaft auf ein derartiges Effizienzniveau bringen konnte, wo die Nebelwälder zwischen uns doch so voller Illusionen und Missverständnisse sind.  

Dieses Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein könnte zudem eine tröstliche Seite haben. Eine schizophrene, aber doch auch irgendwie beruhigende Bestätigung des Satzes, dass sich jeder selbst der Nächste ist. Leider scheint auch das Unternehmen zu sich selbst durchzudringen, nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Die Sprache, die in Gedanken genauso abstrakt bleibt wie im Sprechen, macht uns wieder einen Strich durch die Rechnung. Zurück bleibt ein atomisierter Ich-Ozean, in dem niemand je etwas sicher über jemanden weiß.  

Vielleicht ist das das große Geheimnis unserer Sozialität: Der Wunsch sich in der Gruppe ein paar Stunden darüber hinwegzutäuschen, dass alle Brücken abgerissen sind. Oder, wenn das schon unmöglich geworden ist, zumindest gemeinsam atomisiert zu sein. 




Montag, 18. Juli 2022

Sommerdepressionen

Was ist der Sommertag nur für eine phlegmatische Raum-Zeit-Gattung? Mitunter hat man den Eindruck, die Stunden selbst hängen am klebrig-geglommenen Asphalt fest. Ich will in den Sommernachtstraum segeln, aber das Sonnenlicht – im Winter unser aller Rettungsanker – muss sich am Meeresboden verhakt haben. 

(Auf der lauwarmen Brühe eines viel zu langen Juli-Tages festsitzend gesendet)



Freitag, 15. Juli 2022

Der Storm braint wieder?

Unsere Zeit steht im Zeichen der nostalgischen Rückkehr. Also warum nicht auch eine Rückkehr in das antiquierte Bloggingformat? Stormbraining als karmesinrotes Hoffnungsflackern am finster grinsenden Horizont der jungen 20er. Stormbraining als neue letzte Bastion gegen prinzipiell alles, was als Bedrohung wahrgenommen werden kann. Stormbrainig der vergissmeinnicht-bemusterte Parapluie, verständnisvoller Freund und Liebhaber und wie immer Iron Dome gegen den schlechten Geschmack. Das wäre schon was. Eine bessere Welt. Eine wie wir sie wollen, aber nicht verdienen, um hier auch nochmal den Sprüchekalender zu bemühen.  

Marlen Haushofer hat mal geschrieben, dass der Mensch nicht wieder zum Tier werden kann. Er stürzt am Tier vorbei in die Dunkelheit. Ich glaube Ähnliches gilt für Stormbraining. Alle Rückkehrversuche müssen heute in gloomiger Seltsamkeit münden. Aber ist diese Finsternis wirklich so schlecht? Wir können nicht an diesen Ort in der Jugend zurück, an dem wir den Blog einst eröffnet haben. Wir sind weniger aber eben auch mehr als damals. Was ist Erwachsenwerden nur für eine schöne und widersprüchliche Geschichte?