Donnerstag, 6. März 2014

Musik mit Substanz

Irgendwo auf einem Festival: Noch bevor du die erste Pfütze schmeckst, tobt scheppernd eine Bassipete auf den Boden deiner Tatsachen. Rock'n'Roll brüllt dir der Kammerchor leishals vom anderen Ende der Welt entgegen. Aus Löchern werden Kleider des Tanzes und der fehlgesteuerte Teil deiner versumpften Freunde wird zu ohrenbetäubend lauten Electro-Beats, die dir metaphorische Scheiße a lá "umtsk dub dub umtsk" an den Kopf werfen. Zwischendrin singen synthetisierte Nymphen noch ein wollüstiges Lalala und ein Evergreenembryo ward geboren, bereit die Erde mit fehlenden Notenschlüsseln zu bewerfen. Langsam rennend, fast schon schleichend, jagst du, fernab aller Hits, zum heiligen Fressbudenzirkel, der nach Gras und Schweinehaxe wohlriechenden Mittelalterhippies, die mit ihren Retro-Ukulelen ein Knobibrot zubereiten und es dir für sagenhaft billige Preise hinterwerfen. 
Man kann sich kaum retten vor dem Angebot; 
  • 'Verkauf deine Seele für eine Cola hier dreimal seeliger, als beim Stand dort drüben!',
  • 'Sonderangebot: Heute einen Brotkrümel bekommen und nur 3 Erstgeborene verlieren!
oder aber herzzerreißender Befindlichkeitskram, der mir tränenreiche Tränensäcke karikaturistisch an die Wangen zeichnet: 
  • 'Toiletten Benutzung 50ct'. 

Während du dir noch Zeit lässt eiligst deinen Electrodubreggae-Core-Burger (mit Dreifachkäse!!!) wegzuknuspern, siehst du vom Scham erfüllte Metaller, die ihre Hell'o'Kitty Bierbüchsen aus versehen in der Öffentlichkeit verdeckt haben. Vom berstig leckeren Schweißgeruch der Kopfschüttelnden eingedeckt, vollführst du Pirouetten der Sinnlosigkeit und wirfst ganz eklatant die Fliegenwolke zurück zu deren Erzeuger. Sie sterben. Metal.
Fliegende Würstchen sind da wohl dein einziges Problem im Dixie, oder? Richtig. Metal.

Kurz vor dem Merchandise-Stand drehst du dich noch einmal grob zur Seite, damit du nach deinen verschollenen Freunden suchen kannst, nur leider um exakt dreihundertundsechzig Grad. Erstaunen bereitet dir das Stück Papier in deiner rechten Hand und der Stift in deinem linken Mund; kaum erkenntlich unlesbar stehen da fünf, sich fast (also eigentlich nicht) reimende Wörter und aus unerklärlichem Grund erhältst du unfassbar fassbaren Ruhm, als du sie aussprichst. In sinnloser axialer Tätigkeit schriebst du: "Rappende Facetten, stählerne Ketten, vom Boden zum Boden zurück und Yoguretten. Bing Bing die Searchmachine!". Wassermelonenköpfe mit Elefantenhosen auf denen Hundenamen stehen, zerren deinen Zettel liebsam streng in den Aggro-Club, wo er fortan von DJ's 143959 Stunden am Stück aufgelegt wird. Irgendwie kommen da auch nur wenig viele Milliarden Besucher zu einem Fest, dessen Namen noch nie jemand danach gehört hat.

Kurzes Aufatmen. Endlich das geliebteste Bandshirt ever für 1€ verkauft, um das einer aufdringlich freundlichen Band zu kaufen. "Die hat sogar einen Namen?" 

Zeltplatz mit der Nummer 'A' aufgesucht; Zelt noch im selben Jahr gefunden; [keiner da/ jemand da] (Satz mit beliebigen Zeltplätzen wiederholen, bis 3 Freunde gefunden wurden). Bis dieser Algorithmus sein Ende fand, gaben dir hüpfende Kaninchen Acid, Mdma, Kokain, Lactose, Meskalin, DMT, Speed, Heroin und einen Schluck Erdbeersirup. Schließendlich nicht hinter der Bühne, sondern seitlich verschoben, also sozusagen vor der Bühne pogen so viele Menschen, dass die Liebesparade einpacken kann mit ihrer untertriebenen Darstellung der schuldlosen Opfer. Über alle Sterbenden bis hin zur scheinbar eingeschlafenen Security vorgekrabbelt, kann es dann losgehen:

In epochalem Geklatsche und ausflippenden Geschrei erdreistet die erste Musikgruppe mit ihren, aus dem Toys'r'us erbeuteten Instrumenten, sich auf der Bühne auszubreiten. Spastiges Gedudel und heilsames Gerede über diverse Hilfsprojekte der Band bringen dich in einen komatösen Zustand, aus deiner Stirn erwächst ein drittes Auge, damit du erst jetzt erkennst, dass die Stimme des Sängers, wie kugelroter Regen aus dem Playback kommt. (Playbacks werden von Drogenkonsumenten als graue Sandboxen wahrgenommen).

Nach drei Stunden, zwei Minuten und genau null Sekunden wirst du von deinen verbliebenen sechs Freunden auf dem Krankenbett deines Vertrauens wiedergefunden. Das Festival ist vorbei und alle raunen mit Ehrfurcht in der Stimme, wie "goil" es doch war.
Da du deinen Freunden nie einen guten Musikgeschmack zugetraut hast, nickst du alles brav ab und hast dich schon innerlich dafür entschieden, kein weiteres Festival zu besuchen. "Sind eh alle Scheißmist". 
Zu Hause ist es doch viel schöner, Pirate Bay hat genau meinen Geschmack.

Alle wahren Musiker sind an diesem Abend verstorben. Die Verbliebenen erhielten Klangkörper mit der Asche ihrer Liebsten befüllt. Das Klagelied "Sadest Deepbluesong of the rainiest World of Lonliness" konnte aufgrund von GEMA-Verordnungen nicht abgespielt werden. 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen